Meine Grenzerfahrung, erster Jahresrückblick - Thema Angst
Vor einem Jahr befand ich mich auf meiner persönlichen Grenzerfahrung, meiner Grenzwanderung an der ehemaligen innerdeutschen Grenze.
Allein, 1100 km mit Rucksack und Zelt und die ersten Wochen ohne Geld.
Unter www.grenzpate.de findet ihr den entsprechenden Blog mit meinen täglichen Berichten.
In diesen ersten Wochen bestimmten hauptsächlich Angst, Einsamkeit, Schmerzen und Trauer meinen Weg und meinen Tag.
Ich habe irgendwo in den Wäldern oder Wiesen gezeltet und fremde Menschen um Nahrungsmittel und Wasser gebeten.
Und heute wird mir das Thema Angst wieder bewusst, die Angst vor dem Unbekannten, die Angst vor dem Fremden, die Angst vor meinen inneren Bildern.
Auf meinem Weg hatte ich die ersten Nächte große Angst vor dem „Massenmörder“, der mich in der Nacht im Wald überfällt.
Rational war mir klar, dass dies auf dem einsamsten und unbewohntesten Gebiet von Deutschland ziemlich unwahrscheinlich war, aber die Angst blieb.
Heute ist mir bewusst, dass diese Angst aus den Tatort-Filmen, den Märchen, den Geschichten meiner Eltern und weiteren fremden Quellen stammt.
Ich hatte vorher noch nie alleine im Wald geschlafen, ich war auch noch nie alleine im Zelt unterwegs, also hatte ich diese fremden Bilder übernommen und sie waren für mich real.
Ich bin die ersten Tage bis zur Erschöpfung gewandert, nur um möglichst schnell in den Schlaf zu kommen und diese Angst nicht zu fühlen.
Ich wollte sie nicht fühlen, ich wollte sie nicht akzeptieren.
Und dieser Trick hat nur kurz funktioniert, die Angst blieb und wurde immer bedrohlicher.
Irgendwann konnte ich nicht mehr davonlaufen, sondern musste mich meinen Gefühlen stellen.
Ich fühlte meine Angst, meine Einsamkeit, meinen Selbstzweifel, meine Scham, meine tiefe Traurigkeit.
Und dies hatte nichts mit dem Weg oder dem „Massenmörder“ zu tun, es waren alte Gefühle, die ich vorher nie zugelassen hatte.
Auf dem Grenzweg gab es aber keine Ablenkung, kein Fernseher, keine Freunde.
Es gab nur mich und meine Gefühle...
Und durch das Zulassen und Erleben meiner Gefühle wurde ich ruhiger und gelassener.
Sie waren nicht angenehm, aber sie waren auch nicht so lebensbedrohend, wie ich vermutet habe.
GEFÜHLE SIND SCHEINRIESEN. Sobald sie gesehen und erlebt werden, verlieren sie ihren Schrecken.
Zumindest ging es mir so.
Und die Angst ist ein wichtiges Gefühl, es warnt uns vor Gefahren.
Vorsicht und Achtsamkeit sind immer ratsam, Panik und Abwehr bringen uns in eine mentale Sackgasse.
Heute kommen wieder neue Scheinriesen auf mich zu.
Die Angst vor Flüchtlingen, Terroristen, Krieg, Brexit, Wirtschaftskollaps, Umweltkatastrophen usw.
Und wieder kommen Angst und Zweifel hoch.
Da ich wenig Erfahrung mit diesen Situationen habe, ist die Gefahr groß, die Ansichten und Glaubenssätze von außen zu übernehmen.
Dann würde ich wieder mit Aktionismus oder mit Ablenkung darauf reagieren.
Mein Erfahrung aus der Wanderung ist allerdings, diese Gefühle zuzulassen und zu fühlen.
Und schon wieder ist es nicht angenehm, diese Angst zu fühlen und mich damit zu zeigen.
Immer mehr entdecke ich dabei andere Quellen meiner Angst.
Quellen wie Selbstzweifel, Minderwertigkeit, Versagensangst.
Sich diesen eigenen Themen zu stellen ist echt herausfordernd, da ist die Angst vor dem „Massenmörder“ noch angenehmer...
Und je mehr ich mich mit meinen eigenen Quellen beschäftige, desto kleiner wird die Angst vor den äußeren Gefahren.
Und trotzdem ist es ratsam und klug, auch bei diesen Themen klar und wachsam zu sein.
Und es ist für mich befreiend, mir eine eigene Meinung zu bilden und nicht von den äußeren Einflüssen vollkommen bestimmt zu sein.
Und diese Meinung wird nicht nur im Kopf getroffen, sondern auch im Herzen.
Herzlichst
Eckhard
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